Donnerstag – der vorletzte Tag bricht bei der COMSA bricht an.
Heute holt uns Rudolpho direkt bei unserem Hotel ab.
Auf dem Tagesplan stehen zwei Farmbesuche und etwas Tourismusprogramm.
Nach ca. einer halben Stunde erreichen wir das erste Ziel des Tages, die Farm: „Cual Bicicleta“, was so viel heißt wie „Welches Fahrrad“.
„Cual Bicicleta“ ist eine gängige Redewendung in Honduras, der Besitzer der Farm Oscar Omar Alonzo hat diese Wörter für seine Farm gewählt in einer schweren Zeit. Oscar hat 2003 seine Farm auf organic umgestellt und die zuvor so ertragreiche Farm produzierte auf einmal nur 80 qq Kirschen, statt zuvor 800 qq.
Durch diese drastischen Einbußen und die damit finanziell bedrohliche Situation stellte Oskar sein Tun in Frage und endete mit dem nur allzu verständlichen Fazit: „Was habe ich nur getan?“
Gemäß dem Motto schlimmer geht immer, griff Oskar zur Flasche und verbrachte ab Tage, Wochen und Monate damit sich gnadenlos zu betrinken und sich immer mehr zu verkriechen. Er verließ sein Haus
nicht mehr und war für Hilfe von außen kaum empfänglich.
Ab einem gewissen Punkt gab es eigentlich nur noch zwei Wege, weitermachen mit trinken oder sich aufrappeln und weiter arbeiten. Und genau an diesem Punkt entschied sich Oskar glücklicherweise
für Zweitens, er kam zu dem Schluss, dass er niemals aufgeben kann und das man sich abstrampeln muss, um etwas zu erreichen. Dieses Bild von dem Fahrrad, was sich nur bewegt, wenn der Fahrer
selber in die Pedale tritt, wurde zu Oskars Lebensphilosophie. Ebenso legte er für sich selbst fest, dass ihn keiner und nix von seinem neuem Weg abhalten kann.
Da seine Farm keinen Namen hatte, taufte er sie kurzer Hand „Cual Bicicleta“. Seit dem sammelt er Bilder von Fahrrädern, um sich sein Motto immer wieder vor Augen zu halten und er arbeitet und
experimentiert auf seiner Farm herum was das Zeug hält.
Gerrit und ich hatten ihn schon mehrmals zuvor bei der COMSA gesehen und mit ihm gemeinsam gegessen und er beeindruckte uns stets aufs neue mit seiner unglaublichen offenen, fröhlichen Art, die
nur so vor Tatendrang strotzt.
So viel zur Vorgeschichte.
Unser Treffen war also einige Tage zuvor geplant und nahm ihren Lauf mit einem üppigen und sehr lustigem Frühstück. Neben Tortilla, Rühreier, Bohnen und Würstchen stand der Frühstückskaffee
natürlich im Vordergrund.
Statt Kaffee aus der Tüte oder Dose gab es jedoch, grüne Kaffeebohnen im Pergaminohäutchen auf dem Tisch. Oscar nahm sich eifrig eine grosse Handvoll und noch eine weitere, befüllte damit seinen
Mixer und legte los. Der handelsübliche Schlagmixer befreite die Bohnen zwar nicht nur vom Pergamino, sondern beschädigte auch einige Bohnen, aber so ist das eben manchmal mit der Improvisation.
Danach stellte er sich mit zwei Schüsseln auf seine Veranda und kippte die Bohnen von einer schüssel in die andere und dann wieder zurück. Der Wind tat sein übriges und entfernte die dank des
Mixers zuvor gelockerten, getrennten Häutchen von den Bohnen.
Das sah wirklich unglaublich aus und Oscar freute sich wie ein Schneekönig.
Danach griff er sich seinen kleinen Heimröster, der ein Geschenk eines Amerikaners ist und röstete die Bohnen. Damit die Bewegung während der Röstung stimmte, wiegte er den Röster vorsichtig nach
vorne und nach hinten, verbunden mit einer leichten Drehung.
Nach ca. 11 Minuten war die Röstung beendet, Handmühle, Wasserkocher an, gemahlener Kaffee in die Frenchpress, Wasserkocher aus, aufgießen, ziehen lassen und fertig.
Und wisst Ihr was, der Kaffee war lecker. Manchmal zählt einfach nicht die professionelle Analyse einer Tasse, sondern einzig und allein die Leidenschaft die dahinter steckt.
Frisch gestärkt und immer mehr begeistert von Oscars Kaffeeenthusiasmus machten wir uns auf die Farm zu entdecken. Rudolpho fuhr zurück in die Stadt und wir blieben bei Oskar.
Schon nach einigen Metern konnten wir uns überzeugen, dass Oskar ein kompletter Farm-Verrückter ist. Und ich bitte das positiv zu verstehen! Die Abstände der Pflanzen sind exakt, jede
Pflanzenreihe ist mit einer dicken Düngeschicht, aus Kompost und Pergamino bedeckt.
Greift man in den Boden, hat man dicke und sehr quirlige Regenwürmer in der Hand.
Die Kaffeesträucher sind extrem gut gepflegt, sorgfältig geschnitten, mit kräftigen und sattgrünen Blättern bedeckt. Nicht einmal der Hauch von Kaffeerost. Oscar pflanzt unter anderem Caturra,
Bourbon und Catuai an. Er experimentiert sogar mit Geisha, seine Nachzuchtstation ist Bilderbuch reif und seine jungen Pflanzen sind entsprechend beeindruckend.
In einigen Bereichen seiner Farm hat er viele verschiedene Nutzpflanzen zwischen die Kaffeesträucher gepflanzt: Ananas, Papaya und Bananen. Zusätzlich gibt es viele Blumen.
Bei soviel Vegetation geht es natürlich auch den Insekten gut, die Ameisen aus einem kleinen Ameisenhügel waren jedenfalls sehr gut zu Fuß.
Es sah bestimmt lustig aus wie ich versuchte die kleinen Tierchen wieder loszuwerden.
Nach ca. einer Stunde Besichtigung machten wir dann noch ca. ein Dutzend Bilder auf Oscars rotem, altem Tandem, was im Moment leider etwas kaputt ist, aber was einfach auf eine Farm gehört die
„Cual Bicicleta“ heißt.
Gemeinsam mit Oscar fuhren wir dann weiter und stapften gemeinsam durch Wälder und bestaunten einen riesigen Kaskadenwasserfall – dessen Name mir leider im Moment nicht mehr einfällt. Den schmalen, rutschigen und steilen ca. 20 cm breiten Weg hinab werde ich jedoch nicht vergessen, der Blick war es alle Male wert. Ebenso wenig Oscars Wendemanöver: Der Weg zum Wasserfall ist eine sandige ca. 1,60 m breite Piste, die so steil ist, dass selbst ein starker Motor eines Fast-Geländewagen es nicht schafft, rückwärts bergauf zu fahren.
Also mussten wir Wenden, dass Auto war jedoch wesentlich breiter. Linker Wegrand: Sträucher und Zaun einer Farm, rechts Sträucher und dünne Bäumchen und einer steiler Abhang. Gerrit und ich
stiegen aus und versuchten die Abstände einzuschätzen, was aufgrund der zum Teil undurchdringlichen Sträucher nicht gerade einfach war. Letztendlich klappte das Ganze, ansonsten könnte ich
logischerweise nicht schreiben, aber es war eine schweißtreibende Angelegenheit für Alle.
Das Auto und die Straße wurden auch in den nächsten Stunden keine Freunde mehr, steil-steinig-sandig und hin-und herruckeln, irgendwann schepperte es dann gehörig und eine Verkleidung an der
Unterseite ging ihre eigenen Wege. Die Bremsschläuche schienen jedoch unversehrt und deshalb ging es weiter, weiter zu Joselinde und Ihrer Familie: Mittagessen.
Wie schon drei Tage zuvor wurden wir sehr herzlich empfangen. Voller Stolz zeigte mir Joselinde eine gigantische Orchideenblüte, die sich gerade zu voller Pracht entfaltet hatte.
Joselinde und ihr Mann Mario tischten selbst gezogenen Fisch auf, der sehr lecker war. Dazu gab es Käse, Bohnen und Reis und selbstgemachte Limonade.
Fotos und Internetvideos von Besuchern auf Oscars Farm wurden gezeigt, Witze erzählt, gesungen und viel, sehr viel gelacht.
Nach einem rundum gelungen Vormittag, folgte so ein perfekter Mittag.
Am Nachmittag fuhren wir zurück in die Stadt und abends hieß es dann Essen bei Marcos, schlafen und gespannt sein auf das letzte Cupping bei der COMSA.