Eine der italienischen Volontärinnen von ENGIM fragte mich heute auf der Fahrt von Tena zu Jatary die uns auf unseren Reisen so häufig gestellte Frage, warum wir denn wirklich zweimal pro Jahr diesen Aufwand des persönlichen Besuches bei unseren Partner*innen auf uns nehmen. Meine Antwort darauf lautet, dass es mir hilft, nach so vielen Reisen und Gesprächen mit den hier vor allem indigen Produzierenden unseres Kaffees, mich in deren Lage zu versetzen.
Seit 1492 wird dieser Kontinent von weißen Verbrechern heimgesucht, die fast nie etwas Anderes als Unterdrückung, Versklavung und Mord mit sich brachten. Ich erinnere mich zum Beispiel sehr gut an eine Familie aus der Nähe von Loreto, die mir von einem ihrer Vorfahren erzählten, als sei es gestern gewesen. Er hatte in der Missionsstation, in der er versklavt war und die hier ihre Arbeit machte, um die Indigenen aus der Sünde zu erretten und ihnen das Christentum sanft nahezubringen, versucht, Gemüse für seine verhungernden Kinder aus dem Garten für sich abzuzweigen. Er musste daraufhin von den guten Christenmenschen leider bestraft werden, um ihm solch sündige Gedanken auszutreiben und den anderen Sklaven ein lehrendes Beispiel zu geben. Dazu wurde ihm grausames angetan und seine Familie musste dabei zusehen.
Solche Geschichten sind durch Überlieferungen auch hier immer noch häufig zu hören. Auch, wenn sie eventuell schon 400 Jahre in der Vergangenheit liegen: von guten Erfahrungen ist hingegen sehr wenig zu hören. Wenn wir uns anschauen, was Bergbau und Ölförderung bis heute und heute sogar wieder zunehmend an absoluter Zerstörung auf indigenem Land anrichten, ist es für mich also nur zu verständlich, wenn mich alte und weise Leute aus den Gemeinden bei meinen ersten Besuchen in ihren Dörfern gar nicht als Mensch wahrnehmen, sondern als Dämon, der gekommen ist um unfassbares Grauen über ihre Gemeinschaft zu bringen und mich daran zu bereichern.
Was soll es da helfen und wie glaubwürdig ist es, wenn ich sage, dass ich ein niedlicher Pinguin vom seriösen Quijote Kaffee Kollektiv aus Hamburg bin, der – versprochen - ganz anders ist, als alle weißen Kaufleute, die vor mir da waren und nur ihr Bestes will und dass ich alle meine Versprechungen immer einhalten werde? Ist da die Wahrnehmung von mir als Dämon nicht viel leichter als Wahrheit nachvollziehbar, als zum Beispiel unsere westliche (nördliche) Idee, dass Kapitalismus eigentlich ein ganz gut funktionierendes System ist?
Um also zu zeigen, dass ich eine Struktur vertrete, die es tatsächlich ernst meint mit der Partnerschaft, fuhr ich wieder nach Ahuano. Als Dämon werde ich hier ganz sicher nicht mehr wahrgenommen. Seit 14 Jahren komme ich nun hierher und wir haben als Quijote Kaffee Kollektiv immer unser Bestes gegeben, unsere Versprechen einzuhalten. Dass EUDR aber die zukünftige Zusammenarbeit nun infrage stellt, ist nach 14 Jahren auch durch uns angeregter und geförderter Produktion von Kaffee kaum auszuhalten. Was soll ich meinen Bekannten und Freund*innen aus der Gemeinde sagen, wenn ich ihren Kaffee von heute auf morgen plötzlich nicht mehr kaufen kann? Wenn gute Argumente in der Europäischen Union nicht zählen? Wenn die industrialisierte Landwirtschaft in Deutschland alles darf, und die in Harmonie mit der Natur anbauenenden Kichwa ihre Flächen nicht mehr auslichten dürfen und bürokratische Hürden auferlegt bekommen, die wahrscheinlich nicht erfüllbar sind?
Heute fuhren wir zur Versammlung der Mitglieder von Jatary. 31 der 38 Produzierenden waren anwesend. Dazu noch Pako und ich von Quijote, 3 Leute von der italienischen NGO ENGIM, die Mitarbeiterin der Fairtrade Organisation „Maquita“ Fatima, und eine Vertreterin des Landwirtschaftsministeriums Ecuadors. Wir stellten uns gegenseitig vor und grüßten uns. Danach besprachen wir dann unsere Wünsche für die zukünftige Zusammenarbeit und erzählten die Neuigkeiten. Jatary darf zum Beispiel auf eine Sortiermaschine für gedroschenen Kaffee hoffen und auf ein weiteres großes Trocknungszelt für unseren Kaffee. Sie haben sich als Bewerber für diese Hilfe durch ein staatliches Programm gegen 25 andere Organisationen durchgesetzt. Der Präsident Don Angel Grefa zeigte mir den Papierberg, der für diese Bewerbung notwendig war. Er umfasst ein paar Ordner. Er sagte zu mir, dass sie als Kichwa solche Bürokratie wahrscheinlich noch mehr verstörend finden als wir Weißen es tun würden. Nun aber besteht die Chance, dass das dafür notwendige Geld auch tatsächlich fließt. Die Qualität des für uns aufbereiteten Kaffees könnte so noch einmal deutlich steigen, es könnten größere Mengen verarbeitet werden und sie könnten alle Verarbeitungsschritte selbst machen. Der Kooperativen-Verband FAPECAFES würde dann für uns und Jatary dann nur noch den Export übernehmen.
Wir erzählten von der Gesetzgebung der EU und besprachen, was von Seiten der Genossenschaft und ihrer Mitglieder nötig ist, um dieser gerecht zu werden. Und wir wurden sehr positiv überrascht. Jatarys Schatzmeisterin Estela und die Sekretärin Flor haben mit Unterstützung von Maquita alle notwendigen Daten aller Mitglieder von Jatary gesammelt, alle notwendige Maßnahmen dokumentiert und im Rahmen der „Buenas Practicas Agricolas“ (BPA) alles protokolliert. Darüber hinaus ebenso für 25 weitere Produzierende aus der Region, die ihren Kaffee bei Jatary abliefern.
Wir besprachen, dass wir alles dafür tun werden, einen Kaufvertrag für die kommende Ernte zu realisieren und diesen möglichst im März, wenn die Ernte losgeht zu unterschrieben und 60 % der Vertragsmenge (auf der Basis der 2023 eingebrachten Menge Kaffee von 130 Sack) möglichst noch im März zu überweisen. Um die dafür notwendigen Grundlagen möglichst schnell zu schaffen, gründeten wir eine Arbeitsgruppe, zu der auch die Kolleg*innen von ENGIM und Fatima von Maquita gehören. Wenn nämlich das Geld im März nicht hier ankommt, gibt es keinerlei finanzielle Ressourcen bei Jatary, um Kaffee anzukaufen und uns geht dieser Kaffee verloren, bis das Geld dann endlich hier ankommt.
Wir wurden nach der Versammlung zu Chicha, Hühnersuppe, frisch gefangenem Flussfisch, Yuca-Käse-Stampf und riesigen Tellern mit exotischem Obst eingeladen und tranken in der Cafeteria einen Coldbrew mit Orangensaft und Zimt.
Wir verabschiedeten uns bis morgen und fuhren mit ENGIM zurück nach Tena. Dort wartete nun schon das Team von der ZDF Sendung „Plan B“, das mich die kommenden 4 Tage für eine Dokumentation über unsere Arbeit als „Quijote“ und als „Überlegen“ begleiten wird. Luca (Filmemacher), Felix (Kamera) und Enno (Ton) erwiesen sich als eine sehr angenehme Reisebegleitung. Wir spazierten lange durch Tena, aßen und tranken etwas und saßen abends lange auf der Terrasse unseres Hostals und unterhielten uns. Morgen geht es dann gemeinsam wieder nach Ahuano zu Jatary.