Ecuador Januar 2024


Tag 0 Warum jetzt nach Ecuador fliegen?

Ich habe schlechtes Timing mit meinen Reisen nach Ecuador. Dadurch werden sie strapaziös. Sie werden noch viel anstrengender, als sie für mich alten Vogel sowieso schon sind. Ich mag keine Langstreckenflüge.

Bei meiner vorletzten Reise nach Ecuador gab es den Generalstreik und die landesweiten Straßenblockaden und Auseinandersetzungen der indigenen Bewegungen Ecuadors mit der extrem neoliberalen und herausragend korrupten Regierung unter Präsident Lasso. Er hatte es geschafft, jegliche Aufbruchstimmung im Land und die rudimentären Elemente eines Sozialstaats binnen kürzester Zeit zu zerstören. Die Indigenen litten wie immer am meisten darunter. Meine Reise wurde so kompliziert wie zu erwarten bei unpassierbaren Straßenblockaden alle 10 bis 20 km. Ich reiste vor Ort als Anhalter auf Mopeds von einer Barrikade zur nächsten, passierte diese zu Fuss, sprach sehr viel mit den Aufständischen und kam so langsam vorwärts. Die Reise war notwendig, wir mussten mit unseren Partnerkooperativen viele Dinge besprechen, die während der COVID Pandemie und unserer daher seltenen Besuche dringend geworden waren.

Es sah dann letztes Jahr so aus, als ob wir unsere regelmäßigen Reisen nun wieder aufnehmen können. Direkt vor Beginn meiner letzten Reise, trat Ecuador wieder ins internationale Rampenlicht, da ein ecuadorianischer Ableger eines mexikanischen Kartells (wahrscheinlich Sinaloa) den einzig wählbaren (nicht Oligarch, nicht schon der Korruption überführt, nicht Faschist) Präsidentschaftskandidaten und etliche Lokalpolitiker ermordete. Es kam pünktlich zu meiner Reise wieder zum Ausnahmezustand und Ausgangssperren. Wir reisten in einer Gruppe mit Kollegen der Rösterei Avenir im Mietwagen und kamen gut voran. Allerdings kontinuierlich mit einem flauen Gefühl.

Nun, im Januar 2024 ist alles noch weiter eskaliert. Ihr alle habt die Nachrichten aus Ecuador gehört. Die beiden Anführer der beiden größten und mächtigsten Kartelle konnten mit Hilfe korrupter Beamter einfach aus Hochsicherheitsgefängnissen verschwinden. Daraufhin verhängte der Staat (nun mit einem Bananenmilliardär, der als erste Amtshandlung im Parlament versuchte, 90 Millionen Steuerschulden seiner Familie streichen zu lassen, als neuer Präsident) wieder mal den Ausnahmezustand. Und darauf regierten die Kartelle dann wieder. In einer nie zuvor gesehenen Machtdemonstration brachten die Kartelle 6 Gefängnisse unter ihre Kontrolle, nahmen hunderte Geiseln, verübten an einem Tag über 200 Sprengstoffanschläge im ganzen Land und besetzten das öffentlich-rechtliche Fernsehen mitten am Tag live während einer Sendung. Der dazu ermittelnde Staatsanwalt wurde erschossen. Der Präsident rief daraufhin einen inneren bewaffneten Konflikt, also eine Art Bürgerkrieg aus. Die 35.000 ecuadorianischen Soldat*innen wurden nun komplett auf die Straße geworfen um militärisch gegen die über 20 Kartelle des Landes vorzugehen. Überall kommt es nun zu (häufig willkürlichen) Verhaftungen. Über 3000 angeliche Bandenmitglieder wurden festgesetzt. Die Kartelle ihrerseits verfügen über 30.000 Bewaffnete. Alles sieht nach weiterer Eskalation aus.

Das ganze Land ist militarisiert, es kommt zu Drogenfunden in nie dagewesenem Umfang. Erst letzte Woche wurden 30 Tonnen Kokain sichergestellt. Der Anführer der FARC Splittergruppe „Oliver Sinisterra Front“, ebenfalls im Drogenhandel und Entführungen aktiv, wurde gerade festgenommen.

Warum also jetzt reisen?

Unser Anspruch ist es, möglichst eng mit unseren Partnerorganisationen in Kontakt zu bleiben. Während der Zeit von COVID haben wir gesehen, dass keine andere Kontaktmöglichkeit die persönlichen Reisen ersetzt. Nur so kann ein notwendiges Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, das nötig ist, um unsere quijoteske Art des direkten Kaffeehandels realisieren zu können.

Nun kommt erschwerend hinzu: die europäische Union hat ein Gesetz (EUDR) erlassen, das verhindern soll, dass landwirtschaftliche Produkte, die für Entwaldung im globalen Süden verantwortlich gemacht werden, in die EU importiert werden können. Den Beweis, dass die Produkte nicht für Entwaldung verantwortlich sind, müssen die Produzent*innen erbringen.

Das Gesetz ist nun inkraftgetreten, alle Produzeierenden von Kaffee müssen das Gesetz nun verstehen und umsetzen. Vorab müssen wir sagen: die genauen Konsequenzen des Gesetzes sind nicht mal den Rechtsabteilungen der deutschen Industrieverbänden der jeweiligen Industrien klar.

Zigmillionen Kleinbäuer*innen im globalen Süden, sehr häufig nicht des Lesens- und des Schreibens kundig, häufig nur lokale Sprachen sprechend, müssen diese Gesetze nun umsetzen.

Grundlegend ist die Transparenz des physischen Warenflusses beginnend auf dr Parzelle der einzelnen Produzentin. In den Fällen unserer Partnergenossenschaften hunderter bis tausender Produzentinnen. Es muss also mit GPS geolokalisiert werden. Jede einzelne Parzelle. Jedes Gramm Kaffee, was von dort geerntet wird, muss mit diesen Geodaten versehen bei der Genossenschaft dokumentiert werden. Mit Erntezeitpunkt, Ernteort elektronischen Kontaktdaten des Produzierenden. Dass sehr viele Alte z.B. in den indigenen Gebieten der Kichwa gar kein Telefon oder kein Internet mit Mailadresse haben, ist der europäischen Bürokratie wohl ziemlich egal. Sie fallen halt raus und können ja versuchen, ihren Kaffee dann nach Asien oder sonstwohin zu exportieren.

Die nächste Hürde ist, dass es schriftliche Dokumentationen und Nachweise von allen Produzierenden geben muss, dass nationale Gesetze zum sozialen und ökologischen Standrads eingehalten werden. Wie genau das aussehen muss, ist niemanden in den Anbauländern klar. Und das Gesetz greift schon.

Der Frust ist also nicht nur bei den Kleinbäuerinnen in Ecuaodor riesig. Das Gefühl ist bei allen meinen Gesprächspartnerinnen in den letzten Monaten unisono: die Europäer haben ihren Wald schon vor hunderten Jahren abgeholzt. Daraus und aus der Versklavung unserer Völker besteht ihr Wohlstand. Seit Jahrhunderten zahlen sie uns keine angemessenen Preise für unsere Produkte, die wir aufgrund der Auslandsverschuldung unserer Regierungen anzubauen gezwungen sind. Nun wollen sie uns sagen, wie wir mit unserem Wald umzugehen haben, sind aber weiterhin nicht bereit, mit uns darüber auf Augenhöhe zu verhandeln. Sie erpressen uns lieber einfach.

Das ist also die Stimmung in die ich fahre. Und in der ich fahre. Die Geschichte des Koilonialismus ekelt mich an. Auch wir sind nun gezwungen, mit unseren Partner*innen weltweit die neuen, einseitig durch die EU beschlossenen Gesetze umzusetzen. Und sehr schnell technische und bürokratische Lösungen zu finden.

Wenn ich nun also nicht nach Ecuador fliegen würde, wäre unsere gemeinsame 13 jährige Aufbauarbeit, das sehr langsam gewachsene Vertrauen ineinander und die hohe entwickelte Produktqualität verloren.

Richtig krank macht mich darüber hinaus die Tatsache, dass der Kaffee, der von den Kichwas in Ecuador in ihren Chakras (Waldgärten) angebaut wird, absolut nicht für jegliche Entwaldung verantwortlich ist. Die Chakras sind subsistenzwirtschaftliche Landwirtschaftskonzeote, wie sie weltweit in Sachen sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit nicht noch einmal auftauchen.

Wir sollten als Europäer*innen hier von den Menschen lernen. Wir sollten nicht das Gegenteil tun, und den im Einklang mit der Natur lebenden Menschen unsere Gesetze aufzwingen. Ich hoffe, dass ich durch das Schreiben meiner Reiseberichte dazu etwas aufzeigen kann.

Also fliege ich nun in ein Land, welches sich laut Regierung im Bürgerkrieg befindet. Um ein Gesetz umzusetzen zu helfen, das ich verachte.

Der Bürgerkrieg hier ist übrigens ein Krieg von extrem skrupellosen Drogenkartellen gegen die Gesellschaft. Damit gelangweilte europäische Versager Kokain konsumieren können. Täglich sterben in Ecuador Unschuldige bei furchtbaren Verbrechen, die Demokratie ist durch Verbrechen und Korruption komplett untergraben, niemand vertraut mehr dem System. Markthändlerinnen, Bäuerinnen und Fischer*innen müssen inzwischen wie auch Krankenschwestern oder Schulen Schutzgelder an die Kartelle zahlen. Sonst werden ihre Familien entführt, vergewaltigt oder umgebracht.

Dem Norden das Kokain, dem Süden die Toten.

 

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