Ecuador 2023


Tag 7

Die Entfernungen scheinen auf einer Luftaufnahme hier immer so nah. Von Quilanga nach Alamor wären es als Vogel nur ein paar Minuten. Mit dem Auto sind es aber über 4 ½ Stunden. Es liegen etliche Andenpässe zwischen den Einzugsgebieten der beiden für uns neuen Genoss*innenschaften.

Nachdem mich das Engagement, die interne Solidarität und das Pflichtbewusstsein der besuchten Basisgruppen in Espindola und Cariamanga echt motiviert und begeistert hat, freute ich mich auch auf den Besuch der zweiten für uns neuen Kooperative. Auf dem Weg machten wir noch einmal Pause bei FAPACAFES in Catamayo und besprachen die Besuche und reflektierten gemeinsam Ideen für Verbesserungen unserer Zusammenarbeit im nächsten Jahr.

Ein Punkt kam schon bei den Kooperativen zur Sprache, hier wiederholte er sich noch einmal verstärkt. Die Qualität der angebauten Kaffees hat in den letzten Jahren riesige Fortschritte gemacht. Als wir begannen hier zu kaufen, waren 84er bis 85er Qualitäten die Top Kaffees. Nun gibt es in allen bisher von uns besuchten Genoss*innenschaften ungefähr 15 bis 25 % der Produzent*innen, die fast als Standard 86er Qualitäten anbauen. Bisher ging der Kaffee dieser „Top-Produzent*innen“ eigentlich immer mit in unsere Blends ein und verbesserte so ihre Qualität deutlich. Durch die in den letzten Jahren verstärkte Anwesenheit von immer mehr Zwischenhändlern wie Caravela, Roberto Jimenez oder Café Imports kommt es dazu, dass diese direkt zu den besten und bekanntesten Mitgliedern nachhause fahren und ihnen Preise anbieten, die leicht über der Vorfinanzierung der Kooperativen liegen. Durchschnittlich mehr als die Hälfte dieser besten Kaffees der Mitglieder geht mittlerweile der Genoss*innenschaft durch diese Praxis verloren. Insgesamt würden die Mitglieder durch den Verkauf an die Genoss*innenschaft finanziell immer noch besser dastehen, es fehlt aber die Liquidität und der Wille der Genossenschaft, für erhöhte Qualitäten höhere Preise anzuzahlen. Und die Mitglieder haben schneller mehr Bargeld zur Verfügung.

Man könnte sich fragen: Warum zahlt die Genoss*innenschaft dann nicht einfach mehr Geld an? Die Antwort ist einfach. Auf den Vollversammlungen der demokratisch organisierten Genoss*innenschaften haben alle Mitglieder die gleiche Stimme. 75 % der Mitglieder produzieren 83er bis 84er Qualitäten. Die Mehrheit ist also immer dafür alle Kaffee zwischen 83 und 86 Punkten gleich zu bezahlen. Und so wird es beschlossen und so geschieht es. Aber nur die allerloyalsten Mitglieder verkaufen dann weiterhin ihre 86er Qualitäten an ihre eigene Solidar-Struktur zu den normalen Preisen, die auch Mitglieder mit viel schlechteren Qualitäten bekommen. Viele der potentiellen Top-Leute sind frustriert, geben sich nicht mehr so viel Mühe, lassen selber die Zügel schleifen und produzieren liebloser und auf mehr Masse statt auf Qualität. Diese wird ja sowieso nicht belohnt und es bringt mehr Geld ein, auf Masse statt auf Qualität zu setzen. Oder sie verkaufen den besseren Kaffee halt für eine kurzfristig etwas höhere Bezahlung an Caravela und Co. Und diese nutzen genau das aus. Vor dem Aufkauf informieren sich die Zwischenhändler genau über die Beschlüsse der Kooperativen bezüglich der Vorfinanzierungen. So können sie immer 10 Cent mehr pro Pfund bieten. Und diese guten Kaffees fehlen der Genoss*innenschaft und somit auch uns. Unser Kaffee könnte also noch viel besser sein, wenn es mehr Bewusstsein, mehr langfristiges Denken, mehr Loyalität gegenüber den eigenen Strukturen geben würde. Wenn das Hemd nicht näher als die Hose wäre. Wenn wir vielleicht mehr oder ein Differential für höhere Qualitäten bieten würden? Wenn dies als Anreiz für neue Beschlüsse der Genoss*innenschaften funktionieren und dementsprechend umgesetzt werden würde? Ein echtes Dilemma in demokratischen Organisationen. Es ist eine Herausforderung für uns und für die Genoss*innenschaften in den kommenden Jahren damit umzugehen. Wenn wir keinen gemeinsamen Umgang damit finden, werden weiterhin kapitalistische Zwischenhändler*innen profitieren und Qualität der Kaffees der demokratischen selbstorganiserten Strukturen heruntergehen. Die Zwischenhändler*innen bieten für die Produzent*innen keinen der vielen Mehrwerte der Genoss*innenschaften, sie sind nur an schnellem Profit interessiert und haben auch nicht die Kosten der Genoss*innenschaft für all die sozialen Aufgaben.
Eure Vorschläge für einen Umgang mit dieser Situation sind uns willkommen. Wir möchten sowohl die Solidarstruktur fördern und erhalten als auch Mitglieder honorieren, die viel härter für ihren Kaffee arbeiten und somit immer bessere Qualitäten herstellen.

Nach intensiven Gesprächen ging es zum Mittagessen. Gegrillter Rinderspeck ist die Spezialität der Region. Im Restaurant besprachen wir uns weiter, mussten dann aber aufbrechen. Es lagen wie gesagt noch mehrere Andenpässe vor uns auf unserem Weg nach Alamor. Die Region hat einen deutlichen Einfluss durch das Küstenklima. Dies bemerkten wir beim vorletzten Andenpass kurz vor Celica. Es kam dichter Nebel (Wolken) auf, die Sichtweite betrug über 25 km Strecke nur 5 bis 20 Meter. Und es gibt sehr viele wild lebende Esel, viele Hühner, Hunde, Katzen und etliche überholende Autos im Gegenverkehr ohne funktionierende Beleuchtung. Also ein wenig anstrengend. Dann begann es noch zusätzlich stark zu regnen. Und auch das ist für die Gegend absolut ungewöhnlich. Seit 30 Jahren hat es hier im August nicht geregnet. El Nino tritt gemeinsam mit Klimawandel auf.

Wir kamen ziemlich erschöpft in Alamor an und wurden vom Geschäftsführer Luis, dem Präsidenten Jaime und der Koordinatorin Gladys empfangen. Sie zeigten uns ihr Beneficio und ihre Bodega. Wir unterhielten uns zwei Stunden über ihre Struktur und über uns als neue Kund*innen. Wir verabredeten für morgen Besuche bei Produzent*innen und für heute Abend einen gemeinsamen Restaurantbesuch. Dann ging es erstmal in unser Hotel „Rey Plaza“ direkt gegenüber dem Rathaus am zentralen Platz der 9000 Einwohner*innen-Stadt Alamor.

Ich habe schon jetzt ein wenig Angst vor der Nacht. Der Betreiber des Hotels hat, für Ecuador völlig unüblich, in jedem Zimmer und alle 5 Meter auf dem Flur Rauchmelder installiert. Wie ihr wisst, piepen die, wenn die Batterie schwächer wird. Hier piepen nur wenige nicht: die, deren Batterie leer ist. Hölle.