Meinen Reisebericht von Tag 5 gibt es quasi live, also schon während des Tages geschrieben und dann abends fortgesetzt. Es regnet so, dass wir an diesem unserem freien Tag nicht wirklich aus
unserem Hotel rauswollen. Die Temperatur beträgt völlig unübliche 20 Grad, also 10-15 Grad weniger als normal hier, also ist ein Sitzen auf der Terrasse und Computerarbeit eine gute Sache.
Begleitet wird sie von wundervoll weichem Zwetschgen-Brand den Michael aus der Brennerei seiner Familie mitgebracht hat.
Begonnen hatte der Tag auch schon mit Obst: ich machte mich um 6 Uhr auf den Weg zum Markt. Um die Markthalle herum sitzen sehr viele indigene Bäuerinnen und verkaufen in ihren Chacras angebautes Obst und Gemüse. Dieses ist nach unseren Erfahrungen hier immer biologisch angebaut. Und wird ideal reif geerntet und angeboten für sehr niedrige Preise. Nachts noch am Strauch und um 6 Uhr auf dem Markt. Unser Früstück bestand also aus unfassbar süsser Ananas, ebenso reifer Papaya und der papayaähnlichen Frucht Babaco. Alle Früchte so groß wie ein Menschenkopf. Dazu Müsli und Joghurt.
Da heute nichts wirklich spannendes passiert schreibe ich über was Allgemeines: das Konzept der Minga und das Konzept des Cargo. Beides sind wesentliche Bestandteile der hiesigen indigenen Kultur.
Die Minga: bei der Jatari zum Beispiel haben wir hinter dem neuen Beneficio einen Hektar Land voller verschiedener Kaffeepflanzen und andere Nutzpflanzen gesehen. Dieses Land gehört nicht einer Person und wird auch nicht von einer Person beweitschaftet, sondern von der Dorfgemeinschaft bzw. hier den Kooperativenmitgliedern. Um dies vorzubereiten war eine Rodung und die Vorbereitung des Bodens notwendig. Eine Minga ist eine einberufene Gemeinschaftsarbeit an der alle betroffenen und auch etliche solidarische Menschen teilnehmen. Die Brücke über den Fluss wurde weggespült? Hier wird nicht das THW gerufen, sondern eine Minga einberufen. Sehr schnell würde die Brücke gemeinschaftlich wieder aufgebaut werden. Bei dem Feld hinter dem Beneficio wurde der Hektar binnen zwei Tagen gerodet (Machete) und der Boden für die Pflanzungen vorbereitet. Und steht nun der Allgemeinheit zur Verfügung. Gefällt mir sehr gut.
Cargo: die Funktionäre (Präsident, Geschäftsführer, Kassenwart) der Kooperativen hier im Amazonastiefland wurden auf der Vollversammlung der Genossenschaft / Kooperative gewählt. Dafür erhalten sie keinen Lohn, ihre teils sehr zeitintensive Tätigkeit für die Gemeinschaft wird nicht finanziell vergütet, sondern nur durch Anerkennung und Kompensation aufgewogen. Den gewählten Vertreterinnen und Vertretern der Gemeinschaft wird ihr Aufwand zum Beispeil durch Nachbarschaftshilfe ausgeglichen. Kinderbetreuung, Erntehilfe wenn derjenige mit Funktion weg ist, machen die anderen Mitglieder die Ernte für ihn mit usw... Das Wort Cargo erinnert also nicht zufällig an "Last", durch die ehrenamtliche Arbeit wird aber der soziale Status immens angehoben.
Weiter mit meinem Tag: wir besuchten die Verwaltung der hiesigen Kakao-Kooperative Kallari.
Kallari war mehr als 5 Jahre das Lieblingskind VIELER europäischer Entwicklungshilfe-organisationen. Es wurde viele Millionen Dollar investiert um ein großes Projekt aufzubauen. Viele Bauern organiserten sich, rissen viele andere Pflanzen aus und pflanzten massenhaft Kakao....für soviel Kakao der Mitglieder war aber noch gar kein Markt da. In der europäischen Wirtschaftskrise wurde die Entwicklungshilfe stark heruntergefahren. Nun haben wir hier einen sehr großen Scherbenhaufen und sehr viele Kakaobauern die nicht in Kallari organisert sind (z.B. aus Rukullakta oder Jatari...) welche nicht verstehen wie so viel Geld in ein so großes Projekt investiert wurde was nach 10 Jahren immer noch meilenweit davon entfernt ist auf eigenen Füssen zu stehen und sie selber keinerlei Hilfe bekommen.
Die Schokolade die Kallari in einer eigens errichteten Fabrik im Hochland (hunderte Kilometer von den Produzenten entfernt aufgrund des heißen Klimas hier wäre eine komplette Klimatisierung der Fabrik notwendig gewesen) herstellt ist von hervorragender Qualität. Sefan kaufte einen ganzen Haufen Tafeln für uns. Wir bleiben also frugan heute, Kakao ist ja auch eine Frucht.
Zuhause machten wir uns Cacao, da es echt kühl ist und wir aßen Schokoladen....
Am Nachmittag besuchte uns Bartolomo Juan Andí, der Gründer der Kooperative Jatari bei uns im Hotel. Wir besprachen nochmal wie es aus seiner Sicht weitergehen kann und er formulierte einige
Ideen für die Zukunft. Eventuell können wir schon im nächsten Jahr mal Vertreter der beiden Kooperativen hier nach Deutschland einladen, damit sie sich einen Eindruck machen können was mit ihrem
Kaffee bei uns passiert und um ihre Arbeit interessierten Röstern vorzustellen. Eventuell schreibt er auch ein Buch mit der Geschichte der Kooperative hier. Dies wäre ein sehr interessantes
Dokument aus meiner Sicht.
Abends gingen wir mit einer jungen indigenen Kichwa-Aktivistin und mit einer spanischen Studentin die hier in den Produzentenzusammenhängen über Partizipation forscht noch essen. Es gab leckere Arepas nach kolumbianischer Art an einem Straßenstand, arabisches Schawarma woanders und als krönenden Abschluss gegrillten Schweinedarm. Der ist eigentlich ganz lecker wenn er frisch, heiß und knusprig vom Grill kommt. Läßt sich aber einfach nicht zerkauen....
Den Rest des Abends saßen wir wieder auf unserer Terasse und genossen den letzten Tag in Tena. Morgen geht es weiter zu einer mir noch unbekannten riesiegen neuen Robustakooperative in
Loreto.