Ecuador Tag 10, 29.06.2015


Der heutige Tag wird eines der Highlights meines bisherigen Lebens im Kaffeegeschäft sein. Alle Erwartungen die wir uns als Quijote Kaffee mit unseren sehr hohen Idealen an Kooperativen erwünschen und erhoffen werden manchmal übertroffen. Heute war es offensichtlich wieder mal Zeit für für ein solches sehr motivierendes Erlebnis, besser gesagt Erlebnisse...

Wir wurden morgens vom Hotel abgeholt von Tanja Pintado Jimenez (23 jährige Geschäftsführerin von APECAP und Mitglied des Jugendkomitees), Santo Zumba (Präsident von APECAP) und meinem Freund Whalter Castillo (sehr Erfahrener Koordinator und Kaffeebauer, von der Regionalregierung angestellt als Berater von APECAP). Wir fuhren zum Erntesammelzentrum der APECAP und tranken erstmal Kaffee und machten eine Vorstellungsrunde.

Mit dabei waren auch der Qualitätsmanager der Jugendgruppen Edwin Calvo und einige Produzenten aus der APECAP und der Jungendgruppen. Ich betonte dabei gleich zu Beginn, wie wichtig es uns ist, den Kaffee nicht individuell von ausgewählten Farmern zu kaufen, sondern auch weiterhin alle unsere Kaffees über die demokratischen und solidarischen Strukturen beziehen zu wollen. Dieses Thema wird von nun an den Rest unserer Reise begleiten und ich werde dazu noch einige Dinge zu schreiben haben. Sowohl hier im Tagebuch als auch in einem extra Text dazu in den kommenden Tagen. Auf der Versammlung jedenfalls stieß ich mit meinem recht flammenden Appell zu Solidarität, Zusammenhalt und gegenseitiger Hilfe auf sehr große Zustimmung und traf den Nerv.

Neu hier ist auch eine weitere Sache. Die Politik  hilft den Kooperativen. Sowohl die Stadtregierung als auch die Regionalregierung. Die hiesigen politischen Strukturen helfen der Kaffeebauerkooperative tatsächlich sehr praktisch: Nicht nur der wirklich sehr gute und effiziente Berater Whalter Castillo wird von der Verwaltung bezahlt, es wurde uns für unseren heutigen sehr intensiven Besuchstag z.B. auch ein sehr geländegängiges Fahrzeug samt Chauffeur gestellt.  Das ist völlig neu für die Region und unterstreicht die Hoffnung / Erwartung die in den Kaffeeanbau und den direkten und solidarischen Handel gesetzt wird. Außerdem stellen die Kaffeekooperativen und ihre Familien ein recht großes Wählerpotential

Wir fuhren mit dem großen Auto nun in drei Gemeinden in denen die Jugendgruppen der APECAP sehr stark sind. Die Jugendgruppen sind unseres Wissens nach ein auf der ganzen Welt einmaliges Projekt der Selbstverwaltung der Töchter und Söhne von Kaffeefarmern. Parallel zur Kooperative APECAP der Erwachsenen haben sich 140 Jungbauern zwischen 14 und 35 Jahren organisiert. Sie sind auf der Vollversammlung der APECAP voll stimmberechtigt aber in ihren Strukturen autonom.

Alle 140 (davon 80 Frauen und Mädchen) Mitglieder aus 8  Gemeinden in denen sie Baisgruppen gegründet haben, haben mindestens 1/4 Hektar mit Kaffee bepfanzt und säen gerade einen weiteren 1/4 Hektar. Ziel ist es, auf dem halben Hektar jeweils mindestens 20 Quintales (Zentner) Kaffee zu ernten mit einer Bewertung von mindestens 83 Punkten. Nach unserem heutigen Besuchen erscheint diese Menge als realistisches Ziel. Das die Qualität realistisch ist haben wir bereits im vergangenen Jahr auf der Messe Bracamoros hier in Palanda gemerkt als wir die ersten Ernte von Mitgliedern der Jugendgruppen gecuppt haben.


Ihr werdet es in den kommenden Wochen merken wenn wir das erste Lot von ihnen gemeinsam mit 5 Roasters aus Berlin als X-Roast rösten werden. Die erwartete Erntemenge wäre ein riesiger Fortschritt in der Produktivität, die alten Felder der Eltern erbringen durchschnittlich nur noch 8-15 Quintales pro Hektar. Neue Anbaumethoden, bessere Düngung, sehr viel Arbeit und Engagement und neue Pflanzen auf fruchtbaren Böden helfen aber sicher und die jungen Leute sind Innovationen im biologischen Kaffeeanbau gegenüber viel aufgeschlossener als ihre Eltern.

Wir als Quijote Kaffee bekommen von dieser neuen Struktur viel mehr geboten als wir zu hoffen gewagt hätten. Was es hier gibt, ist nicht nur kooperativ und biologiosch angebauter sehr hochwertiger Kaffee. Was es hier gibt ist die Zukunft des Kaffees und ein unfassbar motivierendes Modell für den Kaffeeanbau weltweit. Es ist DIE Antwort auf ländliche Armut, Landflucht und Überalterung in den besten Anbaugebieten von Kaffee wie wir sie überall sehen. Wenn wir solche Strukturen nicht solidarisch unterstützen, verbauen auch wir als Kaffeeröster uns unsere Zukunft und sägen am Kaffeestrauchzweig an dem wir hängen. Ohne Perspektive für die Jugend im Kaffeeanbau wird es in mittlerer Zukunft fast nur noch Kaffee von industriell arbeitenden Plantagen vor allem in Großgrundbesitz mit Monokulturen und Chemieeinsatz geben. Genau dem Gegenteil des Kaffees für den auch wir von Quijote Kaffee stehen.
Und hier zeigt sich für die Jugendlichen eine ganz konkrete Perspektive: ökologischer kleinflächiger Kaffeeanbau nach neuesten agrarwissenschaftlichen Kenntnissen, in hoher Diversität, die solidarische Struktur einer Kooperative unter Gleichen, ein erwarteter hoher Ernteertrag, hohe Qualitäten die für Zufriedenheit und Stolz bei den Erzeugern sorgen und direkte Handelsbeziehungen zu solidarischen Röstern die eben dieses Modell auch so haben wollen. Ich selber bin absolut begeistert. Mehr geht momentan meiner Meinung nach nicht. Mit der kommenden Ernte werden wir eine mittlere Menge dieses Kaffees importieren.

Wir besuchten zunächst die Basisgruppe im Dorf Irachi. Ich kenne Irachi bereits vom Vorjahr von meinem Besuch der Schatzmeisterin der Kooperative Digna Sanchez. Digna ist nicht nur Schatzmeisterin, zweifache Mutter und sehr ambitionierte Kaffeebäuerin, sie ist auch Präsidentin ihres Basiskomitees der Jugendgruppe mit 11 Mädchen und 11 Jungs und eine echte Führungsperson im Dorf. Auch sie wird uns den Rest des Tages begleiten. Wir trafen uns mit 16 der Mitglieder des Basiskomitees und stellten uns und unseren Ansatz des solidarischen Handels vor. Anwesend waren auch etliche Eltern-Kaffeebauern. Bei unseren Gesprächen während unserer Besuche auf 3 Cafetales wurde uns glasklar, dass nicht nur die Jugendlichen eine echte Perspektive in ihrer Selbstorganisation und im Kaffeeanbau sehen, sondern dass auch die Alten riesige Hoffnungen in dieses Projekt setzen und ihre Kinder bestens und stolz unterstützen. Es ist absolut jedem klar, was für eine gute und wichtige Arbeit hier gemacht wird und was für ein tolles Beispiel sie für andere abgeben.

Alle Personen die wir heute treffen sollten sind höchst motiviert, es gibt sehr viel Erfahrung welche Fehler nicht begangen werden sollten und es gibt großes Selbstbewusstsein. Die ältere Kaffeebauerngeneration wird durch die Jungen mitgerissen und probiert teilweise auch neue Dinge aus.

Im nächsten Dorf welches wir besuchten, San Juan de Punchis, 2 Stunden entfernt und nur über einen Sackgassen-Feldweg über mehrere Pässe zu erreichen, wurden wir vom Präsidenten der Jugendgruppen Mauricio Tocto, seinem Vater Don Eduardo Tocto (ehemaliger Präsident der APECAP und aktueller Schatzmeister) einigen weiteren Mitgliedern der hiesigen Jugendgruppe (15 Jugendliche, darunter 9 Mädchen) begrüßt. Don Eduardo ist zurecht sehr stolz auf seine Familie. Alle 16 Personen leben hier in einer wunderschönen Finca voller Blumen und umgeben von fruchtbarsten Böden auf denen sie Vieh halten, Kaffee auf 3 Hektar anbauen, auf 1 Hektar Obst und Gemüse ziehen, einen Forst auf 2 Hektar betreiben und viel Regenwald schützen. Die 3 Hektar Kaffee sind die besten die ich bisher in Ecuador gesehen habe. Perfekt gepflegte und sehr gut gedüngte Pflanzen, keinerlei Krankheiten, hohe Erträge, sehr selektive Ernte, Trockenbetten in 4 großen Zelten, große saubere Schwemm- und Fermentationsbecken, hochwertige Varietäten (es wird hauptsächlich Bourbon und Typica angebaut), sehr viel Engagement.
In der obligatorischen Vorstellungsrunde erklärte ich wie so häufig unsere Absicht, nur von Kooperativen Kaffee zu kaufen und unsere Kriterien und Bedingungen. Es ist schön auf so viel Zustimmung zu stoßen, daher lerne ich immer besser wie und was ich erzähle. Sehr eindrucksvoll war auch auf dieser Finca wie selbstbewusst die Frauen der Familie auftreten und ungewöhnlich offen in der großen Runde vorsprechen. In dieser Gegend hier oben (11 Stunden Fussweg nach Palanda und Palanda liegt schon im Nichts...) ist es noch deutlicher als in San Juan zu sehen wie sehr sich alle über die neue Entwicklung mit den Jugendgruppen freuen und was für hohe Erwartungen in sie gesetzt werden.
Wir wurden in San Juan von der Familie Tocto fürstlich bewirtet: selbstgerösteter Kaffee, Saft, frische Früchte, Schweinefuss-Suppe (vom selbstgezüchteten Tier) mit ganzen Zehen zum abknabbern, gegrilltes Hähnchen vom eigenen Hof, selbstgebackene Tortillas mit hofgemachtem Frischkäse und Guavenmarmelade aus dem eigenen Garten.

Nun wurde es langsam Abend und wir fuhren zurück, 2 Stunden Feldweg nach Palanda. Abends aßen wir zusammen in "Tio Sam", einem Restaurant welches ich schon von vorigen Aufenthalten kannte mit Whalter, Tanja und Santo.